Taylorreihe

Problemstellung am Taschenrechner

Wenn beispielsweise nach dem Wert \(\sin(27)\) gefragt ist, stellt sich gleich die Frage: Wie wird dieser Wert überhaupt ausgerechnet? Klar, die Rechenaufgabe wird wohl zuerst an den Taschenrechner weitergegeben, welcher einem den Wert \(\sin(27) = 0.9563759284\) ausgibt. Aber wie hat der Taschenrechner das ausgerechnet? Oder mit anderen Worten: Wie lautet die Rechenvorschrift für den Sinus (analog für den Kosinus)? Die Lösung ist die Taylorreihe des Sinus!  Dies wird in den folgenden Abschnitten erläutert.

Definition

Die Taylorreihe der \(N\)-ten Ordnung einer Funktion \(f\) an dem Punkt \(x_0\) ist definiert als

T_N f(x; x_0) = \sum_{n=0}^{N} \dfrac{f^{(n)}(x_0)}{n!} \cdot (x-x_0)^n \,.

Dabei ist f^{(n)} die \(n\)-te Ableitung def Funktion \(f\) nach der Variablen \(x\). Der Punkt \(x_0\) ist ein Punkt, von dem wir bereits den Funktionswert und den Wert der Ableitungen bis zur Ordnung \(N\) kennen. Wenn wir diese Funktionswerte nicht kennen würden, könnten wir die Funktion an dieser Stelle nicht „taylorn“.

Die Taylorreihe ist eine Möglichkeit, eine Funktion um einen gewissen Punkt (hier \(x_0\)) anzunähern. Wie in der obigen Formel zu sehen ist, ist diese Annäherung immer eine Polynomfunktion, also eine Funktion, welche ausschließlich aus Potenzen von \(x\) besteht. Dabei ist zu beachten, dass der Grad der Taylorreihe angibt, wie genau die Funktion angenähert wird. Desto höher der Grad, desto genauer wird eine Funktion approximiert. Es gilt sogar für eine unendliche Taylorreihe

T f(x; x_0) = \sum_{n=0}^\infty \dfrac{f^{(n)}(x_0)}{n!} \cdot (x-x_0)^n = f(x) \,.

Beispiel anhand des Sinus

Im Folgenden wird ein Video zur grafischen Veranschaulichung der Taylorreihe gezeigt, welches im Nachhinein erklärt wird.

Zuerst wird im Video die allgemeine Formel zur Taylorreihe für eine Funktion \(f\) gezeigt, welche an der Stelle \(x_0 = a\) getaylort (angenähert/approximiert) werden soll.
Als Beispiel wird dafür der Sinus genommen. Dabei wird einfach die \(n\)-te Ableitung der Funktion \(f\) durch die \(n\)-te Ableitung des Sinus getauscht. Danach geschieht der eigentlich wichtige Teil:

Zuerst wird die Taylorreihe ersten Grades (N=1) an der Stelle \(x_0 = \pi\) gebildet. Dazu nutzen wir die allgemeine Formel von oben:

\begin{align*} T_1 f(x; \pi) &= \sum_{n=0}^1 \dfrac{\sin^{(n)}(\pi)}{n!} \cdot (x-\pi)^n \\ &= \dfrac{\sin(\pi)}{1} \cdot (x-\pi)^0 + \dfrac{\cos(\pi)}{1} \cdot (x-\pi)^1 \\ &= -x + \pi \end{align*}
Dabei wurde 0! = 1 = 1! und \sin(\pi) = 0 genutzt. Man erkennt im Video, dass die entstandene Gerade eine gute Annäherung des Sinus um den Bereich \(\pi\) ist. Wenn wir die Taylorreihe um zwei Ordnungen erweitern, erhalten wir

\begin{align*} T_3 f(x; \pi) &= T_1 f(x; \pi) + \sum_{n=2}^3 \dfrac{\sin^{(n)}(\pi)}{n!} \cdot (x-\pi)^n \\ &= -x+\pi-0-\dfrac{\cos(\pi)}{3!} \cdot (x-\pi)^3 \\ &= \dfrac{1}{6} (x-\pi)^3 -x + \pi \,. \end{align*}

Dies fittet den Sinus nun etwas besser als die Taylorreihe erster Ordnung, wie im Video zu sehen. Es ist auch das Schema zu erkennen, dass das Polynom nur aus ungeraden Potenzen von \(x\) besteht. Die geraden Potenzen werden mit \(0\) multipliziert, da \sin^{(2n)}(\pi)=0 gilt.
Um ein noch genaueres Ergebnis in einem größeren Intervall zu erhalten, wird zuletzt die Taylorreihe fünfter Ordnung berechnet.

\begin{align*} T_5 f(x; \pi) &= T_3 f(x; \pi) + \sum_{n=4}^5 \dfrac{\sin^{(n)}(\pi)}{n!} \cdot (x-\pi)^n \\ &= \dfrac{1}{6} (x-\pi)^3 -x + \pi + 0 + \dfrac{\cos(\pi)}{5!} \cdot (x-\pi)^5 \\ &= – \dfrac{1}{120} (x-\pi)^5 +  \dfrac{1}{6} (x-\pi)^3 -x + \pi \,. \end{align*}

Dies nähert den Sinus bis knapp über die ersten beiden Extrema zwischen \(\pi\) sehr gut an. Zuletzt wird die Taylorreihe siebter Ordnung berechnet, welche hier nicht mehr vorgestellt wird.

Nutzen der Taylorreihe

Am Anfang der Seite wurde die Probelmstellung der Berechnung des \sin(27) vorgestellt. Nun ist es einleuchtend, dass Funktionswerte einer Funktion wie dem Sinus durch eine Taylorreihe ausreichend hoher Ordnung berechnet werden können. Gewissermaßen kann man sagen, dass der Kosinus und der Sinus in der Analysis durch ihre Taylorreihen

\begin{gather} \cos(x) = \sum_{n=0}^\infty (-1)^n \cdot \dfrac{x^{2n}}{(2n)!} \\ \sin(x) = \sum_{n=0}^\infty (-1)^n \cdot \dfrac{x^{2n+1}}{(2n+1)!} \end{gather}

definiert sind.

Gleichzeitig wird im Physikstudium in der analytischen Mechanik meist das Doppelpendel behandelt. Hier erhält man Differentialgleichungen, welche analytisch nicht lösbar sind. Das bedeutet, dass man sie nicht völlig allgemein lösen kann, sodass auf einer Seite der Gleichung die gesuchte Größe, und auf der anderen Seite ihre Lösung für alle möglichen Werte der Variablen steht.
Stattdessen können die Differentialgleichungen auf zwei verschiedene Varianten gelöst werden:

  • Einerseits können sie nummerisch gelöst werden, was bedeutet, dass ein Computerprogramm diese mithilfe von gewählten Anfangswerten und einem Näherungsverfahren für Ableitungen (die ursprüngliche Idee der \(h\)-Methode), die Werte für gewisse Zeitintervalle löst.
  • Andererseits können die vorkommenden Kosinusse und Sinusse durch eine Taylorreihe genähert werden, um die Differentialgleichungen lösbar zu machen.

Der erste Punkt wird in der Georg-August-Universität Göttingen im Modul Computergestütztes wissenschaftliches Rechnen (CWR) gelehrt.
Der zweite Punkt ist oftmals Bestandteil der analytischen Mechanik.